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15. März 2024 17:52:56
Frank Fuhlbrücks Seiten (Sprache und Musik)

DE/EN

Erlegt

2006

Blutrot und dolchförmig, wie die befleckten Fangzähne eines Räubers dringen ihre Nägel in das weiche Futter der alten Jacke, darauf ein kurzer, prüfender Blick, der den lohnenden Fang bestätigen soll. „Was verlangen Sie für diesen Fetzen?“, bricht es ein wenig zu freudig aus ihr heraus. „Wissen Sie für meinen Mann war das mehr als ein Stück Stoff. Es ist das beste, ich warte auf einen Käufer, der das auch zu schätzen weiß.“ Anna reagiert mit einem herausfordernden Schnaufen. Was glaubt diese Vorstadtwitwe? Sie wird gleich das Verhandlungsgeschick einer Sammlerin zu spüren bekommen, die eigentlich viel eher eine Jägerin ist. „Erzählen Sie mir nichts von sentimentalen Erinnerungen. Sie müssen den alten Krempel doch verkaufen. Wie lange war es doch gleich her, dass ihr ach so großer Göttergatte seinen letzen großen Hit hatte? War das vor oder nach der Erfindung des Grammophons?“, platzt es hämisch aus ihr heraus, während ihr Grinsen sich zu den Ohren hin ausbreitet. Lange kann sie es da leider nicht lassen, sonst entgeht ihr das Prachtstück tatsächlich noch. Nein, nun muss Phase zwei folgen= die einfühlsame Freundin, die alles nachvollziehen kann und doch auf das rauhe Business achten muss.

„Es ist doch nicht so, dass ich ihr Leid nicht verstehe. Die ganze Welt hat ihren Mann geliebt. Aber das ist keine Liebe von Dauer, das Geschäft ist schnelllebig und hat nur Platz für die, die es auch sind. Na ja und das kann man von ihrem Mann nun nicht mehr sagen.“, fügt sie dem halb leidenden, halb herablassenden Blick hinzu. Das Anhängsel des Vorzeitstars scheint ihr das tatsächlich abzunehmen. Wie unschlagbar sie doch ist und dass ihr das keiner nachmachen kann und... Sie muss sich aufs Geschäft konzentrieren, denn der Moment scheint gekommen den nächsten Schritt zu gehen= etwas Reue gepaart mit der Versicherung, sich den Preis der Zurückgebliebenen ohne Vorbehalt anzuhören und im Fall der Fälle auch etwas mehr zu zahlen, weil sie die Notlage ja nun erkannt hat. Das etwas mehr wird schon noch etwas unter dem Wert liegen, wobei letzteres „etwas“ etwas größer ist.

„Nennen Sie mir Ihren Preis und ich sage Ihnen, ob wir ins Geschäft kommen!“ „5000 Euro und keinen Cent weniger!“ Das lässt sie aufhorchen. Eigentlich könnte sie annehmen, denn von weitaus weniger berühmten Persönlichkeiten hat sie schon für weitaus mehr verkauft, wenn es nur schnell genug nach deren Tode war. In dem Moment, in dem sich die Medien auf die Neuigkeit stürzen, kauft jeder alles und zwei Tage später niemand mehr. Wenn es eines gibt, was sie in den letzten Jahren gelernt hat, dann ist es das. Wenn da nicht noch ihr Ruf wäre. Unmöglich kann sie einfach annehmen, selbst wenn das Angebot noch so gut und das Opfer noch so hilflos ist. Nein, sie will den Kampf. Welchen Wert hätte sonst die Trophäe?

„In welchem Universum leben sie Schätzchen? Weil ich Ihnen helfen will, sage ich 3500 aber mehr ist nicht drin!“, kann sie gerade noch sagen ehe eine Hand beherzt auf ihre Schulter fährt. Verdammt, denkt sie und kann sich gerade noch beherrschen, das nicht auch zu artikulieren. Überall hat sie ihre Bekannten und mehr oder minder echten Freunde, die sie mit den neusten Tipps versorgen, wenn es darum geht, wer seinen Lieblingsblumen endlich auch von der anderen Seite beim Wachsen zusehen kann. Aber das alles hilft nichts. Dieser lispelnde Second-Hand-Ladenbesitzer, dem sie vor Jahren mal eine billige Plastik angedreht hatte, steht nun neben ihr. Sie weiß nicht, ob sie den Blick schlimmer finden sollte, mit dem er sie ansieht oder den, mit dem er ihr Beutegut anstarrt. Mit etwas Pech wird er auch noch ahnen, was diese so unscheinbare Jacke einbringen kann. Weiß er, dass der selbsternannte Altmeister sie auf seiner größten Tournee vollgeschwitzt hat? Oder noch schlimmer= er wird sich so idiotisch wie damals verhalten und einen horrenden Betrag bieten. Aber so unprofessionell ist selbst er nicht, er würde nie... „Nanu, was ist dass denn für ein Schmuckstück? Sagen Sie, was wollen Sie dafür haben! Halt! Nein! Ich biete Ihnen 12000!“" }, Paragraph {c=[[ Er würde doch! Sie faltete die Hände vor dem vor Wut und Entsetzen über seine Dummheit zusammengekniffenen Gesicht. In das der Alten will sie erst gar nicht sehen. Es muss vor Häme und Schadenfreude nur so strahlen. Doch ist sie Profi genug, es dann doch zu tun. Was sie wirklich sieht, verwundert sie. Nichts von alledem trifft zu. Die Alte scheint nur erfreut und bereit zu sein, dem Angebot zuzustimmen.

Sollte sie dieser Verlierer gerade ausgestochen haben und das mit solch naiver Offenheit? Das darf sie auf keinen Fall zulassen. Kurzschlusshandlungen waren zwar noch nie ihre Sache gewesen, aber diesmal muss es sein. Das kann sie gerade noch denken, bevor sie sich selbst „fünfzehntausend“ sagen hört.

Kaum hat sie das „Abgemacht!“ der Alten vernommen, drückt sie auch schon ihren Mitbieter mit bemitleidender Geste zur Seite und zieht das Geld aus dem lässig gezückten Portemonnaie. „Gucken Sie nicht so, die sind echt!“, fügt sie hinzu, während ihre Nase den angestammten Winkel zum Boden wieder einnimmt.

„Sie kommen doch über den Verlust der Jacke hinweg?“, ruft sie der Alten im Weggehen noch zu, ohne dass sie die Antwort tatsächlich interessiert hätte. Verblüfft ist sie über die wirkliche Antwort dann doch= „Mein Mann kann sie momentan sowieso nicht tragen.“

„Momentan? Na Sie haben Humor!“ „Mit Humor hat das wenig zu tun, die von der JVA sind da etwas eigen.“ Für eine Sekunde verflucht sie die ein wenig sarkastische Ausdrucksweise, die sie und ihre Freunde manchmal zu benutzen pflegen. Nur für eine Sekunde, denn auch wenn man mit Steuerhinterziehern nicht das selbe Geld machen kann, wie mit Toten, schließt das eine das andere nicht aus. Sie muss mit ihrem Fell lediglich warten, bis das Wild dann endgültig erlegt ist.

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